Über die Werte des Liberalismus

Regelgebundene Freiheit ­­­­− Über die Werte des Liberalismus

Der Liberalismus ist der beste Erbteil der Antike. In dessen Zentrum steht eine klare Morallehre. Er entwirft keine neue Gesellschaft am Reißbrett und seine spontane Ordnung nützt allen.

Der Aufsatz von Josef Jung lässt wenig Gutes von dem übrig, was er für Liberalismus erklärt. Er führe direkt in Nihilismus und die wilde Herrschaft von Gier und skrupellosem Egoismus. Er kenne keine objektiven Ordnungen, respektiere keine Traditionen, kenne keinen verbindlichen Glauben, sondern nur einen verabsolutierten Subjektivismus. Er verkenne die Macht des Bösen. Doch ist das so?

Der Liberalismus ist der beste Erbteil der Antike: Aristoteles, stoisches Naturrecht, Epikur, Cicero und – nach Jahrhunderten intellektueller Verfinsterung – mit Renaissance und Aufklärung eine der Säulen unserer abendländischen Kultur. Gerade auch die Wiederentdeckung des antiken Erbes durch die kirchlich-christliche Philosophie durch die Scholastik, insbesondere Thomas von Aquin und die wenig gekannte christlich-katholische „Schule von Salamanca“, die beinahe die moderne Wirtschaftslehre vorweggenommen hat, waren der Ausgangspunkt für den modernen klassischen Liberalismus – von John Locke über die „Schottische Schule“ bis hin zu Kant.

Im Zentrum dieses modernen Liberalismus steht zunächst eine Morallehre: Niemand darf seinem Nächsten Schaden an Leben und Eigentum zufügen, Verträge sind zu halten, willkürliche Zwangsanwendung gegen Mitmenschen ist streng verboten, schon gar nicht in Glaubensdingen (Rechtsstaat, keine Sklaverei). Es handelt sich hier also von vornherein um eine durch Regeln der Gerechtigkeit strenggebundene Freiheit, und so um ein „aufgeklärtes“ Eigeninteresse, nicht um willkürlichen Egoismus.

Die genannten Klassisch-Liberalen haben übrigens auch ein realistisches Menschenbild. Sie verkennen nicht die Macht des „Bösen“, das durch Erziehung, Interesse und den Zwang von Gesetz und Moral eingedämmt werden muss. Nur dann kann sich eine harmonische „ natürliche“ –oder mit Friedrich August von Hayek – „spontane Ordnung“ heranbilden, die allen nützlich ist. Diese spontane Ordnung kann sich ergeben, wenn das individuelle Handeln durch Moral, Gesetz, Tradition (Gewohnheiten, Sitten) aufeinander abgestimmt und durch die Knappheitssignale freier Marktpreise im wirtschaftlichen Bereich in die richtige Richtung (die tatsächliche Nachfrage) gelenkt wird. Ein Unternehmer kann sich unter diesen Bedingungen nur behaupten, wenn er sich an den Bedürfnissen der Konsumenten orientiert, insoweit steht er konstant im Dienst seines Nächsten, vermindert dessen Leiden (den Mangel) und steigert seine Freuden (durch Wunscherfüllung). Tut er das nicht, muß er den Markt verlassen. Der Wettbewerb, der belohnt und bestraft, ist ein Disziplinierungsinstrument erster Ordnungf.

Dahin gehört auch die Glaubensfreiheit, als nicht nur die Freiheit von Glaubenszwang, sondern ebenso als Freiheit zu einem Glauben, der den eigenen Bedürfnissen entspricht. (ich selbst bin zum Katholizismus konvertiert). Ist Josef Jung denn für einen Glaubenszwang, für Glaubensmonopole, die mit Gewalt und Scharfrichter gegen abweichende Mitmenschen durchgesetzt werden müssen? Und was will er an die Stelle der elementaren Konsumentenfreiheit setzen?

Die deutschen Liberalen wie Wilhelm von Humboldt, Schiller, Goethe entwickelten die großartige Idee der kultivierten Persönlichkeit: „Werde, der du bist.“ Und dazu braucht es eben Freiheit. An dieser Stelle sollte freilich unterschieden werden zwischen einem rationalistischen Liberalismus französischer Prägung, der alles in Frage stellt (de omnibus dubitandum) und so geradewegs in den Konstruktivismus und Sozialismus („neue Gesellschaft“, „neuer Mensch“) führt und dem evolutionär-pragmatischen angelsächsischen Liberalismus, der sich gegen eine zentrale Plangesellschaft nach dem Reißbrett wendet.

Dazu gehört etwa mit Adam Ferguson, Adam Smith und David Hume die erwähnte „Schottische Schule“, aber auch Edmund Burke und Alexis de Tocqueville, die spätere österreichische Schule (Carl Menger, Ludwig von Mises, Hayek und der deutsche Neoliberalismus (Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Walter Eucken, Ludwig Erhard).

Diese Richtung entwirft keine neue Gesellschaft am Reißbrett mit dressierten Einheitsmenschen, mit Menschen nach dem Ideal der egalitären Horde. Der wirtschaftliche und politisch-soziale Liberalismus bilden eine Einheit: ohne wirtschaftlichen Liberalismus keine freie Gesellschaft.

Durch den Glauben und Gewohnheit gestützte, sich frei entwickelnde Traditionen und Sitten bilden ebenso wie staatliche Gesetze – noch vor ihnen – die Struktur der Gesellschaft, als Komplex verlässlicher Erwartungen. Der Klassisch-Liberale ist für die regelgebundene Freiheit und hinsichtlich der bewährten „Werte“ konservativ. Er ist darum gegen die Anmaßung von Wissen und von Macht.

Diesem Liberalismus verdankt der Westen seinen ökonomischen und kulturellen Reichtum. Wer ihn abschaffen will, muss den Untergang der vielen in Kauf nehmen, die nur auf Basis von funktionierender Arbeitsteilung, freiem Preissystem und privater Eigentumsordnung ernährt werden können.

Wer wie Jung dagegen ist, muss sich fragen, ob die Ordnung, die ihm vorschwebt, ohne Glaubenszwang, Zwangswirtschaft (statt der abgelehnten Konsumfreiheit) bestehen kann, ob er in einer solchen Welt der Armut, der Angst und des Misstrauens leben will. Schon jetzt ist die liberale Ordnung des Westens elementar gefährdet, nicht nur durch die exzessiven Staats- und Steuerquoten eines überbordenden Wohlfahrtsstaates, sondern auch durch das bestürzende Vordringen egalitärer Ideale bis hin zur „Cancel Culture“.

Statt auf einen missverstandenen Liberalismus einzudreschen, hätte diese existentiell bedrohliche, freiheitsfeindliche Entwicklung die Aufmerksamkeit und scharfe Kritik Josef Jungs verdient gehabt.

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