Der Sozialismus ist wieder in aller Munde und genießt den besten Leumund. Seine Vertreter sind tonangebend in allen guten Stuben der zivilisierten Welt. Das alte Schlagwort von der sozialen und ökologischen Umgestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft ist aus der Gruft, in die es zu Anfang der 1990er Jahre versunken war, mit großem Pomp wieder hervorgetreten. Heute beherrscht es nicht nur die Rhetorik der linken Vordenker, sondern prägt das Denken und Handeln der Regierungen, Ämter, Universitäten, der Redaktionen und selbst der Konzerne der Privatwirtschaft.
Zwar haben sich die sozialistischen Ziele seit dem 19. Jahrhundert geändert, aber die Herangehensweise der Sozialisten ist unverändert. Früher ging es Owen, Fourrier, Marx und Konsorten vor allem um die materielle Lage der Lohnarbeiter. Den heutigen Sozialisten geht es in erster Linie um Umweltschutz, Erderwärmung und neuerdings um die Weltgesundheit. Aber die Mittel bleiben weiterhin die gleichen: Staat statt Markt, politischer Dirigismus statt Privateigentum.
Die neuen Sozialisten praktizieren aucg weiterhin die bewährte marxistische Taktik. Auch sie nehmen für sich in Anspruch, im Namen „der Wissenschaft“ zu sprechen. Genau wie Marx verteufeln und exkommunizieren auch sie alle anderen, die es wagen, ihnen zu widersprechen. Und genau wie die frühen Marxisten sind auch sie weiterhin bemüht, „für die Gestaltung ihres Idealstaates immer neue Bezeichnungen in Umlauf zu setzen. An die Stelle einer Bezeichnung, die sich abgenutzt hat, tritt eine neue, hinter der man die endliche Lösung des unlösbaren sozialistischen Grundproblems vermutet, bis man erkennt, daß sich bis auf den Namen nichts geändert hat.“ (Mises, Die Gemeinwirtschaft, 2. Aufl., 1932, S. XI)
Vor dreißig Jahren glaubten viele Liberale, die Erfahrung der gescheiterten sozialistischen Experimente des 20. Jahrhunderts habe den Sozialismus ein- für allemal erledigt. Sie müssen sich heute eines Besseren belehren lassen. Einen kleinen Trost bietet der berühmte Ausspruch Hegels, welcher in den 1820er Jahren, gleich zu Beginn seiner Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte, folgendes vorweggeschickt hatte: „Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dieses, daß Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“ (G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte [Hamburg: Meiner, 1994], S. 19)
Es liegt somit auf der Hand, dass sich jede Generation auf Neue gegen den Sozialismus wappnen und ihn zurückschlagen muss. Die wichtigsten geistigen Waffen sind glücklicherweise bereits vorhanden. Es gibt eine reiche anti-sozialistische Literatur, die nur darauf wartet, wiederentdeckt zu werden. Dazu gehört insbesondere eine Abhandlung über Die Gemeinwirtschaft, welche der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig von Mises vor genau 100 Jahren in erster Auflage veröffentlichte.
Bereits im Jahr 1920 hatte Mises in einem berühmten Aufsatz dargelegt, dass der Sozialismus sein Kernversprechen nicht halten kann. Er kann keine rationale Zentralplanwirtschaft gestalten. Rationales Wirtschaften setzt die Möglichkeit einer Wirtschaftsrechnung voraus. Genauer gesagt setzt es voraus, dass man den wirtschaftlichen Wert von Produkten mit dem wirtschaftlichen Wert ihrer Produktionsmittel vergleichen kann – andernfalls wäre unmöglich zu wissen, ob die Produktion erfolgreich ist. Und es muss auch möglich sein, die wirtschaftliche Bedeutung verschiedener Handlungsalternativen vergleichen zu können – andernfalls werden Zeit und knappe Ressourcen in vergleichsweise unwichtigen Projekten verschwendet. In einer Marktwirtschaft können solche Vergleiche auf der Grundlage einer Geldrechnung gemacht werden. Im Sozialismus hingegen ist die Geldrechnung unmöglich, denn alle Produktionsmittel haben einen einzigen Eigentümer – den Staat – und können somit nicht auf dem Markt getauscht werden. Zudem gibt es auch keine andere Lösung, keinen Ersatz für die marktwirtschaftliche Geldrechnung. Sozialistisches Wirtschaften ist somit zwangsläufig verschwenderisch. Es ist orientierungslos. Es gleicht einer kompasslosen Dampfschifffahrt auf offenem Meer.
Im Jahr 1922 legte Mises mit einer umfassenden Abhandlung über alle sozialistischen Spielarten nach. In Die Gemeinwirtschaft behandelt er nicht nur das Kernproblem der sozialistischen Wirtschaftsführung – das kompasslose Wirtschaften ohne Geldpreise – sondern auch die anderen Elemente der sozialistischen Doktrin. Insbesondere legt er dar, dass die Sozialisten die soziale Bedeutung des Privateigentums völlig missverstanden haben. Er betonte auch die Bedeutung von Verträgen und von demokratischen Regierungsformen für die friedliche Lösung von Konflikten und lieferte eine brillante Anwendung dieser Überlegungen auf den Fall der Familie oder, wie man heute sagen würde, der Geschlechterbeziehungen. Er widerlegte die marxistische These von der Unausweichlichkeit des Sozialismus bzw. marktwirtschaftlicher Monopole. Er kritisierte die Theorien John Stuart Mills, mit denen sozialistische Ideen unter falscher (liberaler) Flagge verbreitet werden. Er zeigte auch, dass die einschlägigen ethischen Rechtfertigungen des Sozialismus einer rationalen Prüfung nicht standhalten. Und er unterstrich die großen Probleme, die für sozialistische Regime durch internationale Verflechtungen – Migration und Kapitalflüsse – hervorgerufen werden.
Da wir an dieser Stelle nicht auf alle seine Argumente eingehen können, sollen abschließend nur Mises‘ Darlegungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Privateigentums etwas deutlicher gemacht werden. Einer der häufigsten Vorwürfe gegen das klassisch-liberale Programm, das die Achtung des Privateigentums zum Grundsatz der menschlichen Zusammenarbeit erhebt, lautet, dass das Privateigentum nur den wenigen glücklichen Besitzenden auf Kosten der großen Masse der Habenichtse zugutekomme. Wie das Wort „privat“ andeutet, werde den Habenichtsen jene Güter vorenthalten, die sich unter der ausschließlichen Kontrolle der Besitzenden befinden.
Mises geht diesen Vorwurf auf den ersten Seiten von Gemeinwirtschaft frontal an, indem er die „soziale“ Funktion des Privateigentums unterstreicht. Ein Gut im ökonomischen Sinne zu „haben“, so sein Argument, bedeutet, den Nutzen dieses Gutes zu genießen. Es gibt Vorteile, die nur von einer Person gleichzeitig genossen werden können. Dies gilt vor allem für bestimmte persönliche Dienstleistungen wie den Haarschnitt sowie für eine Vielzahl von Konsumgütern wie Lebensmittel, die nur von einer Person konsumiert, d. h. genossen werden können. Anders verhält es sich bei dauerhaften Konsumgütern wie Fernsehgeräten oder Sofas, die von mehreren Personen genutzt werden können, wenn auch nicht immer gleichzeitig. Hier kann das Eigentum zeitlich aufgeteilt werden, und das Gut kann von vielen verschiedenen Personen „exklusiv“ genutzt werden.
Bei Produktionsgütern wie Fabriken, Plantagen, Werkzeugmaschinen usw. liegen die Dinge jedoch grundlegend anders. Bei all diesen Gütern fällt der Nutzen nicht ausschließlich dem Eigentümer zu, d. h. demjenigen, der im engen rechtlichen Sinne über das Gut verfügt. Vielmehr fallen sie den Verbrauchern der Endverbrauchsgüter zu, die mit Hilfe dieser Produktionsgüter hergestellt werden.
Es liegt daher in der Natur der Sache, dass die Vorteile, die aus den Produktionsfaktoren gezogen werden, nicht auf ihre rechtlichen Eigentümer beschränkt werden können. Es sind also nicht diese rechtlichen Eigentümer, die sie im wirtschaftlichen Sinne „haben“. Die wirtschaftlichen „Besitzer“ der Produktionsfaktoren sind alle Menschen, die in den Genuss der mit ihrer Hilfe produzierten Konsumgüter kommen.
Der entscheidende Punkt ist nun, dass dies unabhängig von der vorherrschenden gesellschaftlichen Organisation so ist. Die Konsumenten „besitzen“ die Produktionsfaktoren nicht nur in einem sozialistischen System, in dem sie die (kollektiven) rechtlichen Eigentümer dieser Faktoren sind, sondern auch im Kapitalismus.
Die kapitalistische Wirtschaftsordnung kommt somit nicht nur einigen wenigen glücklichen Besitzenden auf Kosten der großen Mehrheit der Habenichtse zugute. Es ist kein Zufall, dass der Kapitalismus die Lebensbedingungen der breiten Massen in unvergleichlicher Weise verbessert. Es liegt in der Natur des Privateigentums, dass seine Vorteile letztlich der gesamten Gemeinschaft der Verbraucher, d. h. allen Mitgliedern der Gesellschaft, zugutekommen.
Diese wichtige Einsicht soll dem interessierten Leser wie gesagt nur als Appetithappen dienen. Die Gemeinwirtschaft bietet eine große Fülle an Gedanken und Argumente, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben und daher auch die Auseinandersetzung mit dem neuen Sozialismus entscheidend bereichern.